Von Familienbanden, Bruderzwist und Wahlverwandtschaften in der Musik
Was ist eine Freundschaft heute wert? Angesichts sozialer Spannungen und politischer Blockbildung scheint es an der Zeit, wieder neu über das nachzudenken, was für Philosophen wie Aristoteles die Keimzelle der Gesellschaft bildete. Die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci wollen sich 2023 »In Freundschaft« den frei gewählten zwischenmenschlichen Beziehungen widmen und dem Einfluss, den so ein starkes geistiges Band und gemeinsame Interessen auf die Musik nehmen können.
Am Beginn steht Preußens erste Königin Sophie Charlotte, die mit Weitblick und Herzenswärme den Reichtum ihrer Hannoveraner Herkunft – geistig wie kulturell – dazu nutzte, für ihr Land Beziehungen in Europa zu flechten. Die Familienbande ihres Enkels Friedrich II. zu seinen Geschwistern sind hingegen von Konkurrenz geprägt, wenn auch einer musikalisch produktiven. Die Konzerte der Musikfestspiele 2023 spannen den Bogen von einer Männerfreundschaft aus dem Alten Testament bis zum dichtenden Freundeskreis um Franz Schubert und dem Fantasiezirkel, den Robert Schumann am Klavier erfand. Das Musizieren zu zweit ist die wohl intimste Form der Kammermusik und schlägt sich auch mit Uraufführungen im Festspielprogramm nieder. Wer möchte, kann der Geburt des öffentlichen Konzertwesens aus dem Geist barocker Liebhaberzirkel folgen: Die Reise führt von Berlin über London und Paris bis ans Pult des Leipziger Gewandhauses. Und sie reicht bis ins Heute: Beim Fahrradkonzert lässt sich auf drei Routen »Freundschaft in Potsdam er-fahren«, anhand vieler Bauwerke und Projekte, mit denen privates, bürgerliches Engagement den urbanen Lebensraum bewahrt, verwandelt, weiterdenkt. Das Fest auf der Freundschaftsinsel lädt zur Eröffnung für alle und draußen die Partnergemeinden Potsdams musikalisch in das Gartenreich im Herzen der Stadt: Junge Barockmusik aus Versailles, A-capella-Pop auf Schwyzerdütsch aus Luzern und das hochkarätige Gabriele Mirabassi Trio aus Perugia.
Drei Opern zeigen die Kraft menschlicher Anziehungskräfte in jeder Beziehung: Dorothee Oberlinger und ihr Ensemble 1700 machen den Auftakt mit Andrea Bernasconis »L’Huomo«, komponiert auf das eigenhändige Libretto der Wilhelmine von Bayreuth, anlässlich eines Besuchs ihres Bruders 1754. Tänzer, Chor und das Ensemble Marguerite Louise unter Gaétan Jarry widmen sich üppig besetzt mit Marc-Antoine Charpentiers »David et Jonathas« der berühmtesten biblischen Freundschaft. Und in der vergnüglichen Inszenierung von Bernardo Pasquinis Barockoper »Idalma« kämpfen Geister der Vergangenheit mit der allzu menschlichen Leidenschaft der Eifersucht, wobei sie Alessandro De Marchi und das Innsbrucker Festwochenorchester virtuos begleiten.
Große Namen der Alten Musik, die dem Festival langjährig verbunden sind, haben einen Freundschaftsbesuch angekündigt, darunter Jordi Savall mit der Capella Reial de Catalunya und Hespèrion XXI, Ottavio Dantone und die Accademia Bizantina, Giovanni Antonini und Il Giardino Armonico, Vittorio Ghielmi und Il Suonar Parlante, das Innsbrucker Festwochenorchester und Alessandro De Marchi sowie die Akademie für Alte Musik Berlin. Erstmals in Potsdam zu hören sind das französische Orchester Les Épopées, das {oh!} Orkiestra Hystoryczna und das Quatuor Cambini-Paris. Viele junge Gesichter kommen mit dem Teresia Orchestra, dem Jugendbarockorchester der EU, und den Teilnehmern des Lunchkonzert-Wettbewerbs nach Brandenburg.
Ganz egal also, für welche der Konzert- oder Opernaufführungen letztlich Ihr Herz schlägt: Fühlen auch Sie sich bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci in Freundschaft willkommen geheißen.